Ein Gastbeitrag von Gerhard Ruhl, Schuldekan i.R.

“Der Vaihinger Maientag und sein Umzug sind im Land (meines Wissens) zurzeit die einzigen, die den Umzug mit einem Gottesdienst unterbrechen. Wenn wir also diesen Ablauf nicht mehr einhalten unterscheiden wir uns in nichts von den anderen Umzügen, Bietigheimer und Ludwigsburger  Pferdemarkt, Güglinger historischer Umzug, Brettener Peter und Paul  Umzug, Urach Umzug usw. Die „Traditionalisten“ in Vaihingen (innerhalb und außerhalb der Kirchen) sehen hier das Ende einer langen und guten Tradition und bedauernd dies sehr. Dass jetzt eine Veränderung stattgefunden hat,  hat einige wesentliche Hintergründe: Der Vaihinger Maientag war schon immer ein Kinderfest.

Vaihingens Maientag ist ein Kinderfest

Am Samstag vor Pfingsten war zum 43. Mail das Konzert für Kinder in der 1-2-3 Hall mit etwa 80 Kinder und Musikanten, hier war klar, Maientag ist ein Kinderfest. Vor 100 oder 150 Jahren war Vaihingen fast ausschließlich evangelisch. Die Schülerinnen und Schüler der Vaihinger Schulen passten alle in die Kirche. Einschließlich  der  Begleitpersonen. Wenn die wenigen Rossgespanne draußen warten mussten, dann war dies für die damaligen Rösser nichts Ungewöhnliches. Die heutigen Rösser kommen teilweise mit dem Kopfsteinpflaster nicht mehr klar oder werden unruhig.

Im Laufe der letzten 50 Jahren hat die Zahl der Teilnehmenden am Maientagsumzug stetig zugenommen, dieses Jahr waren es über 90 Gruppen mit Erwachsenen und Kindern. Rein logistisch war es fast nicht möglich alle Kinder und Jugendlichen für den Gottesdienst „abzuzweigen“. Zunehmend sind auch Schülerinnen und Schüler dabei, die aus religiösen oder sonstigen Gründen nicht in den Gottesdienst gingen. Für das Begleitpersonal  und Lehrerinnen und Lehrer war es schwierig, zum einen die Schülerinnen und Schüler in der Kirche „ruhig“ zu halten und diejenigen zu beaufsichtigen, die draußen blieben und beaufsichtig werden mussten.

Der diesjährige Festumzug war ein Probelauf

In den vergangenen 30 Jahren war es für die Gottesdienstverantwortlichen immer schwerer, einen Gottesdienst zu gestalten, an dem etwa  400-600 junge Menschen und wenige Erwachsene einen sinnvollen Gottesdienst erleben konnten. Mit Beamer, mit Theateranspiel, mit Puppenfiguren, mit entsprechender Musik, usw. vieles wurde probiert, aber es wurde immer chaotischer. Die Gottesdienstpause war für viele der Erwachsene aus den Gruppen die Gelegenheit in die Gasthäuser zu gehen, in präparierte Höfe, wo es Weißwürste, frisch angezapftes Bier oder sonst etwas gab. Die Kutschenfahrer standen zusammen, irgendeiner hatte Getränke dabei, manche Gespanne haben die Pause genützt um abzuspannen und heim zu fahren. Die jetzige Form wurde vom Vorbereitungskreis bestehend aus der Verwaltung, Vereinen und Kirche so als Probe beschlossen: Empfang beim OB, Gottesdienst, Eröffnung am Marktplatz, Umzug und Rondellfeier.

Kritik zu diesem Ablauf kam von  „Traditionalisten“ (auch innerhalb der Kirche), auch von den „Rossknechten“, die sich nicht mehr treffen konnten, und von denen, die die Pause  zu Bier und Weißwürsten nicht mehr nützen konnten. Wobei von denen kaum einer je im Gottesdienst war.  Es ging also eigentlich nur um die entgangene „Trink- und Vesperpause“. Die Verantwortlichen der Kirchen sahen sich aber nicht mehr in der Lage, 400-600 Kinder einen angemessenen Gottesdienst zu bieten (lose Zungen sprechen davon 400-600 Kinder zu „bespaßen“ ) um anderen eine wie auch immer geartete Pause zu gönnen.

Veränderung ist der richtige Weg

Der diesjährige ökumenische Gottesdienst war ein Versuch, der teilweise gelungen ist. Meine inhaltliche und theologische Kritik daran habe ich den Verantwortlichen mitgeteilt. Dass dies aber zukünftig der richtige Weg ist, ungeachtet der verloren gegangenen Tradition der Unterbrechung durch einen Gottesdienst, der letztendlich aber der veränderten Teilnahme geschuldet ist, scheint mir der richtige Weg zu sein. Wenn der Gottesdienst entsprechend attraktiv und inhaltlich gut gestaltet wird, ist er ein kleiner Ersatz dafür, dass es eben aus ganz verschiedenen Gründen nicht mehr möglich ist, den Festzug zu unterbrechen.

Jetzt bilde sich jeder seine eigene Meinung. Wichtig ist mir nur, dass wir auf dem gleichen Informationsstand sind.”